Seit Jahren bzw. Jahrzehnten wird das Ziel eines Wissenstranfers von der Wissenschaft in die Sportpraxis propagiert und mehr oder weniger konsequent verfolgt. Kongresse, Trainerseminare- und Symposien, von Bund finanzierte Stellen u.ä. beschäftigen sich mit dieser Thematik. Doch wie einfach oder schwer ist dieser Vorsatz in die Tat umzusetzen?
Bedenkt man, dass sich die Wissenschaft häufig der Statistik bedient, ergeben sich dadurch erste Schwierigkeiten. Die Statistik (nach Sachs 1984) arbeitet mit Methoden, die uns erlauben, optimale Entscheidungen im Falle von Ungewissheit zu treffen. Nun will der Praktiker aber keine „optimalen“ Ratschläge für sein Training, sondern genau die richtigen bzw. die auf seinen Athleten passen. Schwierigkeiten in der Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus der Statistik ergeben sich zum einen dadurch, dass Stichproben oft nicht aus Leistungssportlern bestehen. Außerdem sind die vorrangig verwendeten statistischen Verfahren nicht für die Beurteilung des Einzelnen geeignet. Daher kann es vorkommen, dass neue Erkenntnisse für genau diesen Einzelsportler überhaupt nicht funktionieren, oder aber Maßnahmen wirken, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Die Einstellung von Praktikern wozu man die Wissenschaft dann überhaupt brauche, ist teilweise verständlich aber doch etwas kurzsichtig. Um zu neuem Wissen zu gelangen, sind kontrollierte und v.a. wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten folgende Versuchsanordnungen nötig. So kann man dem Trainer neue Tools zur Verfügung stellen, die nicht sicher, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch beim Topathleten funktionieren.
Der zeitliche Aspekt in der Wissenschaft – von der Datenerhebung bis zur Publikation vergehen oft mehrere Jahre – soll an dieser Stelle nur erwähnt, aber nicht diskutiert werden.
Ein weiteres Hindernis ist die meiner Ansicht nach gesunde Skepsis von Athleten und Trainern der Wissenschaft/dem Wissenschaftler gegenüber. Fast ausnahmslos werde ich bei neuen Projekten von Betreuern oder Aktiven nach meiner sportlichen Herkunft gefragt. Gerade diesen Personen scheint es oft wichtig zu sein, dass ein Wissenschafter auch ein gutes Verständnis von der Praxis hat.
Betrachtet man nun die andere, die Praxisseite, wird klar, wie wichtig gut ausgebildete Betreuer im Sport sind, die entsprechend neue Erkenntnisse zu finden, zu interpretieren und auf den Spitzensport umzumünzen wissen. Aus meiner Erfahrung der letzten 10 Jahre kann ich sagen, dass in Verbänden mit guter Struktur das Betreuerniveau sicherlich angestiegen ist.
Benötigt der Betreuer Unterstützung im Wissenstranfer, bedarf es Personen oder Institutionen die diesen Beitrag leisten können. Sportverbände können in Österreich hierbei auf 5 Olympiazentren, 4 Sportunis und 3 High Performance Centers zurückgreifen. Aufgrund von Überscheidungen der Institute wären das 7 verschiedene Einrichtungen. Geht man von einer Handvoll Personen pro Institut aus, die den Bereich des Wissenstransfers abdecken können, ist das eine überschaubare Anzahl an (meist) Sportwissenschaftern. In Österreich gibt es 60 anerkannte Bundesfachverbände mit zahlreichen Sparten und rund 500 aktuell in Team Rot-Weiß-Rot (TRWR) und Projekt Rio geförderten SpitzensportlerInnen bzw. Teams. Die Beurteilung ob diese Zahlen zw. wissenschaftl. Betreuer und Athleten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, ist jedem selbst überlassen. Ich meine, dass hier noch Luft nach oben besteht. Nicht zuletzt dadurch, dass bei immer mehr Verbänden die Basisarbeit bereits gut funktioniert und man über wissenschaftlichen Input nachdenken kann.
Auch in meinem Aufgabengebiet als Projektbegleiter im TRWR ist der Transfer aus der Wissenschaft in die Sportpraxis ein wichtiger Bestandteil. Immer wieder ist es möglich, v.a. nach Kongressen oder Fortbildungen Projekte mit Verbänden anzukurbeln, um die neuesten Erkenntnisse aus Trainingslehre, Ernährung o.ä. weiterzugeben. Doch muss auch ich mir eingestehen, dass diese Anstrengungen rudimentärer Natur und noch deutlich ausbaufähig sind.
Abschließen möchte ich mit einem Beispiel, bei dem der Wissenstransfer so funktioniert hat, wie ich ihn mir vorstellen würde. Aufgabenstellung war eine Verbesserung der Startleistung im Snowboardcross. Voraussetzung war ein entsprechendes Niveau bei Starttechnik, Material und konditionellen Eigenschaften (Weltcupgruppe SBX).
- Ein Forscher präsentiert auf einem Kongress neue Erkenntnisse bzgl. optimalem Aufwärmen und Vorstartaktivierung. Zudem wurden weiterführende Gespräche mit Experten auf diesem Gebiet geführt.
- Auf Basis von Punkt 1 erfolgte die Ausarbeitung eines entsprechenden Aufwärmprogrammes inkl. Vorstartprozederes gemeinsam mit dem Trainer
- Modelltraining bzw. Einschulung der Athleten bzgl. Durchführung der Übungen
- Validierung des Programmes anhand von Feldmessungen
- Resultat: je nach Athlet 3,5 – 10%ige Verbesserung der Startzeit
Aufgrund der geringen Stichprobengrößen und starken Streuung der Startzeiten wäre keine statistisch signifikante Veränderung festzustellen gewesen. Für den individuellen Sportler ist die Statistik jedoch nebensächlich, wenn er/sie um mindestens 0,05s schneller startet, als erstes in die erste Kurve einfährt und damit größere Chancen hat, den Lauf zu gewinnen.
Dieses Beispiel hat mir gezeigt, dass der Wissenstransfer notwendig ist und bei entsprechender praxisnaher Vermittlung auf jeden Fall positive Auswirkungen haben kann. In diesem Sinne sollten wir weiterhin daran arbeiten, alle Interessierten im Wissenstransfer zw. Wissenschaft und Praxis zu unterstützen, um die Leistung der Sportler kontinuierlich zu verbessern.
von Dr. Hans-Peter Platzer