Keep it Simple
Welcher Trainer kennt ihn nicht, den Moment, wenn ein Athlet während des Trainings, im speziellen des Krafttrainings, nach der Steigerung einer bestimmten Übung fragt. Wie kann ich sie noch effektiver gestalten? Wie kann ich sie noch wirksamer machen? Wie kann ich noch mehr aus ihr herausholen? Immer wieder wird man als Trainer mit diesen Fragen konfrontiert. In diesen Momenten kommt häufig ein zwiegespaltenes Gefühl in mir hoch. Einerseits heiße ich es absolut willkommen, wenn sich Athleten Gedanken über ihr Training und die damit verbundenen Inhalte machen, anderseits stellt sich mir in diesem Moment die Frage, ist der Athlet für eine Steigerung der Ausführungsvariante überhaupt schon in der Lage, bzw. macht es in diesem Moment überhaupt Sinn, eine Steigerung vorzunehmen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, die einem Trainer zur Verfügung stehen, um Übungen, egal in welche Richtung, anspruchsvoller zu machen. Kleingeräte wie MFT – Platten, Pezzibälle oder Bosus, die eine instabile Unterlage schaffen sollen und damit die koor- dinative Beanspruchung einer Übung erhöhen oder unilaterale Bewegungsausführungen, die die mechanische Belastung und die neuromuskuläre Aktivierung erhöhen, um nur zwei zu nennen.
Diese Formen der Steigerung sind natürlich legitim und weitverbreitet, nur gilt es vorab einige Fragen zu klären: Zunächst gilt es das Trainingsziel klar zu definieren und darauf aufbauend die Übungsauswahl zu treffen. Steht die koordinative Komponente im Vordergrund, bzw. geht es darum, vor allem im Kindes- und Jugendalter, das allgemeine Bewegungsrepertoir zu erweitern, so bieten sich die oben genannten Übungsvarianten auf alle Fälle an.
Geht es um klassisches Krafttraining im Bereich Hypertrophie und Maximalkraft (IK) gilt es zu überlegen, ob die mechanische Beanspruchung einer Übung auf einer instabilen Unterlage noch hoch genug ist, um einen Reiz in diese Richtung zu erzielen. Weiters gilt es die funktionellen Voraussetzungen eines Athleten zu beurteilen und in diesem Zusammenhang folgende Fragen zu beantworten: Kann der Athlet seine Beinachse stabil halten oder kommt es während der Bewegung immer wie- der zu Varus- oder Valgusstellungen im Knie? Kann der Athlet sein Fußgewölbe in korrekter Position stabilisieren, oder kippt er wie so häufig beobachtet medial ab? Kann der Athlet seine Beckenstellung kontrollieren und eine stabile Position halten, oder klappt es nach hinten ab, während er Kniebeugen macht? Kann der Athlet seine Schultern während eines Klimmzuges in einer neutralen Stellung halten, oder fallen sie nach vorne ein? Kann der Athlet seine Halswirbelsäule stabilisieren und während eines Unterarmstützes den Kopf in Verlängerung der Wirbelsäule halten oder hängt dieser wie eine Kapuze nach unten? All diese Fragen gilt es mit JA zu beantworten, bevor man an die Steigerung einer Übung denken sollte.
Wenn man diese Punkte, und es handelt sich hier nur um einen kleinen Auszug von Kriterien, die eine Bewegung gut oder schlecht sein lassen, beachtet, dann wird man sehr schnell feststellen, dass die einfachsten Übungen auf einmal nicht mehr so einfach sind und man mit der Tatsache konfrontiert wird, nach Vereinfachungen von Übungen zu suchen. Diese Vereinfachungen stellen häufig eine weit schwierigere Aufgabe an einen Coach, als zunächst geglaubt. Es gilt die richtige Balance zu finden zwischen der richtigen Ausführung einer Bewegung und der Gefahr der Unterforderung eines Athleten.
Wie kann ich jemandem, der nicht in der Lage ist, seine Bei- nachse stabil zu halten, lernen saubere Kniebeugen zu machen? Wie kann ich jemandem, dem es nicht gelingt die Schultern in einer neutralen Position zu fixieren, Klimmzüge lernen?
Wie kann ich jemandem, der nicht Herr über seine Lendenwir- belsäule ist, vorgebeugtes Rudern lernen?
Das sind die Fragen, mit denen sich ein Coach viel häufiger konfrontiert sieht, als mit jenen nach einer Möglichkeit eine Übungsausführung zu steigern.
In diesem Sinne, beobachtet eure Athleten, beurteilt sie kritisch und haltet euer Training einfach.
von Roland Luchner, MSc